Als Schonik ungefähr ein halbes Jahr alt war, wurde er
mit einer schlimmen Wunde an der linken Hinterpfote gefunden. Er wurde
operiert, einige Zehen mussten amputiert werden. Das muss jetzt ungefähr zwei
Jahre her sein. Seitdem lebte er in einem Tierheim in Russland. Aufmerksam
wurde ich auf den kleinen Bären, weil ich wieder einen zweiten Hund wollte,
nachdem Elvis im November verstorben war und ich mich natürlich auf Seiten im
Internet umschaute, die Hunde aus Russland vermitteln. Wie sagte eine Freundin
vor Jahre einmal? Einmal Russland, immer Russland. Wie das doch stimmt.
In der Nacht von Freitag auf Samstag bin ich in die Nähe
von Münster gefahren, um Schonik zu übernehmen. Tigra war für die Nacht bei
meinen Eltern. Das gefällt ihr, bei Oma und Opa ist es irgendwie immer toll.
Auf der Fahrt von Celle nach Münster habe ich mich echt zweimal verfahren -
Navis sind irgendwie Käse. Trotzdem war ich eine Stunde vor der geplanten
Übergabe am verabredeten Ort. Die „freie“ Stunde hatte ich genutzt, um mich in
den für Schonik präparierten Kofferraum meines Pathis zu legen und zu schlafen.
Ich war müde und ich bin davon überzeugt, dass es nicht schlecht sein kann,
wenn die frisch gewaschenen Decken ein wenig nach mir riechen würden.
Als ich wach wurde, stand der Transporter aus Moskau
schon da und die anderen wartenden Menschen gingen zu ihm. Also schnell die
Schuhe und die Jacke an, dann raus. Ich hatte die Hoffnung, dass Schonik als
letzter ausgeladen werden würde, damit die Tumulte sich bereits aufgelöst
hätten. Er kam als erster an die Reihe. „Schonik. Schonik.“, sagte einer der
Fahrer. Ich ging zu ihm und sprach ihn so gut ich es kann auf Russisch an. Wir
gaben uns die Hand, er gab mir die Papiere, bat mich, ein Halsband und eine
Leine zu holen.
Nachdem Schonik angeleint war, sprang er aus dem Wagen
und machte sich für einen Augenblick so klein wie der nur konnte. Dann sprang
er mich an und ich hielt ihn für einen Moment im Arm. Wir gingen gemeinsam
durch die Menge der Wartenden. Schonik sprang noch einen Mann an, kam dann aber
völlig problemlos mit mir zum Auto. Ich öffnete die linke, hintere Tür.
Reinspringen wollte er jedoch nicht. Also hob ich ihn in den Wagen und
kletterte hinterher. Wir drückten uns, naja, ich drückte ihn, Schonik
schlabberte mir durchs Gesicht. Ich ging noch einmal zu den wartenden Menschen
und fragte, ob ich noch irgendetwas tun müsse oder ob ich fahren könnte. Ich
konnte fahren.
Ein paar Kilometer über Land, dann auf die Autobahn. Ich
erzählte Schonik aus meinem Leben, er schien zuzuhören. Draußen wurde es hell,
ich machte Fotos von Schonik, Schonik schlief ein. Und auch ich wurde immer
müder. Um kurz nach sieben Uhr fuhr ich einen Parkplatz an, kletterte zu
Schonik in den Kofferraum, zog meine Schuhe aus und machte es mir mit dem Hund
im Arm so bequem wie möglich. Wir schliefen ein. Nur einmal wurde ich kurz
wach, als Schonik mit tiefer Stimme knurrte, weil neben unserem Pathi Menschen
gingen.
Um kurz nach neun Uhr wachte ich auf. Draußen war es
hell, auf dem Parkplatz jede Menge los. Ich zog meine Wanderstiefel an, stieg
aus und begrüßte vier junge Männer, die ein paar Meter neben mir standen, mit
einem fröhlichen „Guten Morgen.“. Einer von ihnen kam zu mir, hielt mir eine
Schale mit Schinken- und Käsebrötchen entgegen. „Guten Morgen. Magst du ein
Brötchen? Ach, nimm dir gleich zwei.“ Ich freute mich, nahm zwei halbe Brötchen
und leinte Schonik an. Während ich aß, schnupperte er unglaublich interessiert
am Boden, machte einen Haufen und pinkelte – wie ein Mädchen. Ich war entsetzt.
Wir stiegen wieder ein und fuhren nach Celle. Raus aus
dem Auto und zum Hauseingang. Eine Treppe. Nein, ausgerechnet eine Treppe. Nach
ungefähr fünfzehn Minuten waren wir im dritten Stock angekommen. Schonik
inspizierte die Wohnung, trank, fraß ein paar Happen. Und ich beschloss, dass
es jetzt an der Zeit wäre, dass Tigra und er sich kennenlernen würden. Die
Treppen herunterzugehen fand Schonik noch schlimmer als den Aufstieg. Geduldig
überzeugte ich ihn davon, dass er das hinbekommen würde. Und er bekam es hin.
Ich fuhr zu meinen Eltern, ließ Schonik kurz im Wagen und
begrüßte meine kleine Verrückte. Dann holte ich Schonik aus dem Auto. Keine
übermäßige Freude, aber auch keine Ablehnung. Wir leinten beide Hunde ab, sie
tobten im Garten.
Der zweite Versuch, zu Hause die Treppen zu steigen,
verlief völlig problemlos. Tigra war nur bedingt davon überzeugt, dass es gut
sei, Schonik in ihre Wohnung zu lassen. Und als sie dann noch mitbekam, dass er
sich über all ihre Rinderkopfhäute, die sie immer sorgfältig im Bett versteckt,
hermachte, war sie beleidigt.
Der erste Waldspaziergang verlief ebenfalls
unspektakulär. Schonik fand alles super spannend, hatte aber massive Probleme,
an der Leine zu gehen. Er wird sich daran gewöhnen.
Nach dem Spaziergang mussten beide Hunde kurz im Auto
warten, weil ich einkaufen war. Auch das war kein Problem. Als ich jedoch den
Einkauf ins Auto stellte, war Schonik sich sicher, dass das alles für ihn sein
musste. Auch das wird er noch lernen.
Das Abendessen der beiden Hunde gestaltete sich dann
schon etwas schwieriger. Schonik verstand gar nicht, dass das Futter in einem
der Näpfe nicht für ihn sein konnte. Tatsächlich musste ich Tigra beim Fressen
„beschützen“. Aber auch das „Problem“ werden wir in den Griff bekommen.
Futterneid. Ein tolles Thema im Leben eines Hundes. Einen
wahren Schreck bekam ich, als Schonik schlief, aufwachte und sah, wie Tigra in
einen der leeren Näpfe guckte. Schonik sprang auf, knurrte und jagte sie weg.
Tigra war mehr als erschrocken. Kannte sie so etwas doch nun gar nicht aus
unserer Wohnung.
Schoniks Behinderung schränkt ihn nicht wirklich ein.
Manchmal, besonders dann, wenn er sehr aufgeregt ist, läuft er acht, neun Meter
auf drei Beinen. Dann aber läuft wer wieder völlig normal. Ich beschloss, in
der kommenden Woche einen Termin bei Frau Doktor zu machen. Sie soll sich
Schonik im Allgemeinen und die Pfote im Speziellen einmal ansehen.
1
vom 22.10.2024, 22.20